Erinnern an Babyn Yar

Selbst nach der Flut von Kurenivka im Jahr 1961 kamen jedes Jahr am 29. September, dem Jahrestag des Massakers von Babyn Yar, besonders Jüd*innen zu der Schlucht, um der Tragödie zu gedenken. Bei einem solchen Ereignis trug im Jahr 1966 Yevgeny Yevtushenko erstmals sein Gedicht “Es gibt keine Denkmäler in Babyn Yar” vor und eine inoffizielle Gedenktafel wurde aufgehängt. Nicht nur in Babyn Yar, sondern überall im Land, wurden Tafeln und Inschriften in Gedenken an die ermordeten Jüd*innen errichtet. Manchmal nahmen die sowjetischen Aufseher Menschen fest, die beispielsweise Blumen in Babyn Yar niederlegten. Andere Gedenkveranstaltungen wurden konnten ungestört stattfinden. Mitte der 1960er Jahre wurde der jüdische Friedhof, auf dem sich Menschen gewöhnlich in Gedenken versammelten, eingeebnet, um einen Fernsehturm an jener Stelle zu errichten.

Auf Druck von internationalen Organisationen erbauten die Sowjets im Jahr 1976 das erste Denkmal, das ihren Idealen des Nationalismus entsprach. Sie waren nicht gewillt anzuerkennen, dass Babyn Yar vor allem ein Ort war, an dem Jüd*innen ermordet wurde, daher stand auf einer Bronzetafel „Hier ermordeten zwischen 1941 und 1943 deutsche faschistische Eindringlinge mehr als 100.000 Bürger der Stadt Kiew und Kriegsgefangene“. Zu jener Zeit fanden bereits die erwähnten Verfahren gegen Kollaborateure statt, die auf der Erzählung fußten, dass es starke Unterstützung der Nazis in der Ukraine gab. Dieses Narrativ wurde von Putin wieder aufgegriffen, um den im Jahr 2022 erneut aktivierten Angriffskrieg zu rechtfertigen.[1]

Erst als die Ukraine 1991 seine Unabhängigkeit erlange, wurde in Babyn Yar in Denkmal in Form einer Menora erbaut, durch das ein offizielles Bekennen zur Ermordung von Jüd*innen und dem Holocaust sichergestellt wird. In den darauffolgenden Jahren wurden weitere Denkmäler errichtet, so dass der Historiker Andrej Kotijarchuk sogar von einer Konkurrenz der Opfer spricht. Das hölzerne Kreuz, das 1992 aufgestellt wurde, nutzt die Symbolik christlicher Friedhöfe und ist zum Gedenken an die ermordeten ukrainischen Nationalist*innen. Das Denkmal für die ermordeten Kinder aus dem Jahr 2001 dient der Erinnerung an die Kinder, die in Babyn Yar erschossen wurden, jüdische wie auch nicht-jüdische. 2005 wurde ein Denkmal in Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus‘ direkt bei der sowjetischen Skulptur enthüllt. Am 75. Jahrestag der Erschießungen wurde die Kibitka eingeweiht, gegenüber des zuvor installierten Granitdenkmals mit Inschrift. Kibitka ist eine russische Bezeichnung für Wagen, die (früher) von Roma* genutzt wurde. Bei dem Denkmal ist der Wagen durch Munitionsgurte verschlossen. Die Symbolik ist aufgrund der Zuschreibung Roma* seien nicht-sesshaft stereotyp, allerdings beabsichtig die Kibitka der 20.000 Roma* zu gedenken, die in der Ukraine exekutiert wurden. Der Schriftsteller Rani Romani (Raisa Nabaranchuk) beschreibt Babyn Yar als Horror für die Roma*: “Sie starben sogar ohne zu wissen, wofür sie eigentlich ermordet wurden.“

 

[1] Iryna Sklokina zeigt diese Verbindungen beispielsweise in einem Interveiw auf, das 2019 aufgenommen wurde, bevor Vladimir Putin das Argument verwendete, um den aktuellen Angriffskrieg in der Ukraine zu rechtfertigen. Vgl. http://babiyar.org.ua/,15. Juli 2019.

 

Quelle

„Commemoration of the Victims of Babi Yar“, in: Yad Vashem, https://www.yadvashem.org/education/
educational-materials/lesson-plans/babi-yar/historical-background4.html
, zuletzt geprüft am 22. März 2024.

Kutsovska, Galyna. Memorializing Babyn Yar Politics of Memory and Commemoration of the Holocaust in Ukraine, Linköping: Linköpings University, 2019, https://liu.diva-portal.org/smash/get/diva2:1330405/
FULLTEXT01.pdf
, zuletzt geprüft am 22. März 2024.

„Massaker von Babyn Jar“, in: Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Babyn_Jar
#Rezeption_in_der_%C3%96ffentlichkeit
, zuletzt geprüft am 22. März 2024.

Міжнародний Меморіальний благодійний фонд „Бабин Яр“. „Пам’ять про Голокост у часи СРСР: Про дозволені та заборонені практики“, 15. Juli 2019, http://babiyar.org.ua/?p=9, zuletzt geprüft am 25. März 2024.

Museum of Jewish Heritage. „The long and uncertain journey of the Babyn Yar memorial“, 24. März 2022, https://mjhnyc.org/blog/the-long-and-uncertain-journey-of-the-babyn-yar-memorial/, zuletzt geprüft am 25. März 2024.