Gewalt ist ein schillernder Begriff. Im alltäglichen Sprachgebrauch verstehen wir unter Gewalt sowohl die Fähigkeit, jemanden physisch oder psychisch zu verletzten und zu schädigen, als auch staatliche Gewalt (siehe Gewaltmonopol). Während Ersteres sich auf soziale Interaktionsbeziehungen zwischen Individuen und Gruppen bezieht, meint Letzteres die Fähigkeit des Staates und seiner Organe, Regeln auch gegen Widerstand mit notfalls physischem Zwang durchzusetzen. Die Unterscheidung dieser beiden Formen sagt per se nichts über ihre jeweilige Legitimität aus. Die Ausübung von Gewalt kann intendiert (z. B. Mord) oder unintendiert (z. B. ein Autounfall), physisch (z. B. Schläge gegen den Körper) oder psychisch (z. B. Mobbing) sein und den Gebrauch von Objekten beinhalten (z. B. Schusswaffe).
Definitionen von Gewalt gibt es viele. Zusätzlich gibt es eine politische und wissenschaftliche Diskussion darüber, was Gewalt (nicht) ist. Sowohl Philosophinnen und Philosophen, Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie Hannah Arendt oder Gayatri Chakravorty Spivak, Soziologinnen und Soziologen wie Randell Collin und Trutz von Trotha als auch Politikwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie Johan Galtung und Heinrich Opitz – um nur einige wenige zu nennen – haben sich mit der Frage beschäftigt, was Gewalt ist.
Eine Definition
Der Politikwissenschaftler und Friedensforscher Johan Galtung (1969, 1990) unterscheidet drei Formen der Gewalt:
a) direkte, personale Gewalt
b) strukturelle Gewalt
c) kulturelle Gewalt.
Unter struktureller Gewalt versteht Galtung „(…) die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“ Die Abwesenheit struktureller Gewalt ist die Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Erst soziale Gerechtigkeit ermöglicht nach Galtung einen positiven Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von direkter Gewalt (negativer Friede).
Den Begriff der kulturellen Gewalt (auch symbolische oder epistemische Gewalt) entwickelt Galtung Anfang der 1990er Jahre und meint damit Formen von Gewalt, die nicht direkt physisch töten, sondern (vermeintliche) Rechtfertigungen anbieten, Personen zu verletzen oder strukturelle Gewalt zu legitimieren.
Arendt, Hannah. Macht und Gewalt, (Originalausgabe: On Violence, New York 1970), München: Piper, 1970.
Collins, Randall. Violence, Princeton: Princeton University Press, 2008.
Galtung, Johan. „Cultural Violence“, in: Journal of Peace Research 27, 3 (1990), 291–305.
Galtung, Johan. „Violence, Peace, and Peace Research“, in: Journal of Peace Research, 6, 3 (1969), 167–191.
Popitz, Heinrich. „Gewalt“, in: Heinrich Popitz (Hg.), Phänomene der Macht, Tübingen: Mohr, 1992, 43–78.
Spivak, Gayatri Chakravorty. „Can the Subaltern Speak?“, in: Cary Nelson und Lawrence Grossberg (Hg.), Marxism and the Interpretation of Culture, University of Illinois Press, Chicago, 1988, 271–313.
Trotha, Trutz von. „Zur Soziologie der Gewalt“, in: Trutz von Trotha (Hg.), Soziologie der Gewalt, Sonderheft 37 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen und Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 1997, 9–56.
Fragen zum Thema Frieden, Krieg und Gewalt:
www.frieden-fragen.de
Infos zu Gewaltprävention und Opferhilfe:
https://www.bmjv.de/DE/Themen/OpferschutzUndGewaltpraevention/OpferhilfeUndGewaltpraevention_node.html