Textquelle: Dr. Gustav Nachtigal (1834-1885)

Textauszug aus: „Der Ehre würdig? Fragwürdige Namensgeber für Straßen in deutschen Städten und Gemeinden“ von Jule Bönkost (2017)

„Gustav Nachtigal wurde am 23. Feb. 1834 in Eichstedt (Altmark) geboren und wuchs in Stendal auf. Er gilt den meisten heute als sogenannter ‚Afrikaforscher‘ des 19. Jahrhunderts. Dabei ist der Name Nachtigal eng mit der deutschen Kolonialherrschaft verbunden: Gustav Nachtigal war maßgeblich an den historischen Vorgängen um die Kolonisierung der ehema­ligen deutschen Kolonien Togo, Kamerun und ‚Deutsch-Südwestafrika‘ beteiligt.

1884 wurde Nachtigal von Bismarck zum ‚Reichskommissar für Deutsch-Westafrika‘ ernannt. [...] Im Frühjahr 1884 reiste Nachtigal mit dem Kanonenboot der kaiserlichen Marine ‚SMS Möwe‘ als kaiserlicher Kommissar nach Kapitaï und Koba sowie an den Golf von Guinea. Am 5. Juli 1884 proklamierte er dann die sogenannte deutsche ‚Schutzherrschaft‘ über das Gebiet von Togoland (heute Togo bzw. Teilgebiet von Ghana). Anschließend proklamierte er am 14. Juli, Kamerun ‚unter deutschen Schutz gestellt‘ zu haben. Im selben Jahr ‚beglau­bigte‘ er dann die betrügerischen ‚Landerwerbungen‘ des Bremer Kaufmanns Adolf Lüderitz im heutigen Namibia, dem damaligen ‚Deutsch-Südwestafrika‘, wo die deutschen Kolonial­truppen noch einen Völkermord verüben sollten. Am 11. März 1885 hat er ferner das Mahinland nahe dem Nigerdelta ‚unter deutschen Schutz gestellt‘.

Die deutsche ‚Schutzpraxis‘ war Ausdruck nationalistischer und rassistischer Vorstellungen über die vermeintliche eigene Überlegenheit. Sie bezog sich grundsätzlich auf die Wahrung der deutschen Interessen in den kolonisierten Gebieten. Sie galt nicht den lokalen Gemein­schaften, wie die [beschönigende] Bezeichnung nahelegt, sondern vielmehr der Unterwer­fung und Ausbeutung dieser Menschen. Nachtigal war zu Beginn der sogenannten deut­schen ‚Schutzpolitik‘ ein bedeutender Vertreter der imperialen deutschen Außenpolitik. [...] Der Name Gustav Nachtigal verweist damit wie die Namen Adolf Lüderitz und Carl Peters auf die grausame und gewaltsame Interessenpolitik kolonialer Herrschaft. In der verkürzten Beschreibung Nachtigals als ‚Afrikaforscher‘ in der Geschichtsliteratur wirkt hingegen immer­noch die begriffliche Verschleierung der historischen Realitäten kolonialer Herrschaft nach: Geldgierig zu bezeichnende Kaufleute bzw. karriere‚geile‘ Abenteurer und Diplomaten wer­den immer wieder verharmlosend und irreführend als ‚Afrikaforscher‘ bezeichnet.“

Quelle

Jule Bönkost. Der Ehre würdig? Fragwürdige Namensgeber für Straßen in deutschen Städten und Gemeinden“, 2017, veröffentlicht auf academia.edu.