Postkolonial Erinnern

Die rassismuskritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialherrschaft

Von: Josephine Apraku, Dr. Jule Bönkost

Sachinformation

Worum geht es?

In Deutschland wird die eigene Kolonialgeschichte häufig als unbedeutend relativiert, z. B. indem auf die im Vergleich früher eingesetzte und länger andauernde koloniale Herrschaft anderer europäischer Staaten hingewiesen wird. Um den gegenwärtigen Umgang mit der eigenen Kolonialgeschichte in Deutschland zu beschreiben, sprechen Wissenschaftler*innen von einer Erinnerungskultur des Vergessens und der Abwehr.[1]

Weil deutscher Kolonialismus in Deutschland kaum erinnert wird, werden nicht nur die im Zusammenhang mit der eigenen kolonialen Verbrechensgeschichten, sondern auch das umfas­sende Erbe des Kolonialismus in der Gegenwart verschleiert. Im Umgang mit diesen Spuren des Kolonialismus in der Gegenwart, wie dem mit dem Modul exemplarisch aufge­griffenen Denkmal „Herero-Stein“ und den bearbeiteten kolonialen Straßenbenen­nungen in Berlin, zeigt sich außerdem, wie sich die zur Kolonialzeit entstandenen rassistischen hierarchisierten Selbst- und Fremdbilder bis heute in der Gesellschaft nieder­schlagen.

Afrikadarstellungen in Bildern sind ein weiteres Beispiel dafür, wie Schwarze Menschen bis in die Gegenwart mit kolonial geprägten Vorstellungen von „Afrika“ zu den „Anderen“ gemacht werden, um Weiß-Sein als vermeintlich natürlichen „Normalzustand“ zu deklarieren und damit Ausschlüsse und die Verstetigung gesellschaftlicher Ungleich­verhält­nisse zu sichern und zu legitimieren.[2] Als bedeutsame Nachwirkungen des Kolo­nialismus sind auch diese andauern­den kolonialrassistischen Vorstellungen nur wenigen Menschen bewusst, obgleich sie das Zusammenleben und die gesellschaftlichen Verhält­nisse in Deutschland prägen.

Deshalb macht eine rassismuskritische Bildung Kolonialismus zum Thema: um Rassismus besser verstehen, koloniale Kontinuitäten besser erkennen, eine historisch bedingte Verant­wor­tung entwickeln sowie Rassismus entgegenzutreten und Möglichkeiten für ein verän­dertes Handeln abstecken zu können.

 

Welche Materialien werden verwendet?

Die erste Stunde des Moduls gilt dem Einstieg in das Thema deutscher Erinnerungsdiskurs zum deutschen Kolonialismus. Sie umfasst eine Kartenlegeübung, für die Kopiervorlagen bereitstehen (Material 1 und 2). Auf den Karten stehen ausgewählte Ereignisse der Kolonial­zeit, im Hinblick auf die die Schüler*innen (S*S) den Erinnerungsdiskurs zum deutschen Kolonia­lismus hinterfragen. In der nächsten Phase der ersten Stunde arbeiten die S*S mit einem Arbeitsblatt. Es enthält einen Arbeitsauftrag für eine selbstständige kritische Analyse der eigenen Schulbücher, die die S*S auf das Thema Kolonialismus und die in diesem Zusam­men­hang angebotenen Perspektiven hin untersuchen (Material 3).

Materialgrundlage der zweiten Stunde ist der online abrufbare Dokumentarfilm „Deutsch-Südwas? Erinnerung an einen deutschen Völkermord“ (Filmgruppe E, 2013). Der Film gibt Einblicke in die deutsche Kolonialherrschaft in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwest­afrika“ und thematisiert den Erinnerungsdiskurs zum deutschen Kolonialismus am Beispiel des Denkmals „Herero-Stein“ auf dem Berliner Garnisonfriedhof (Material 4). Die Filminhalte werden von den S*S mit dem zweiten Arbeitsblatt bearbeitet (Material 5).

In der dritten Stunde wird eine Auswahl an Bildern afrikanischer Städte diskutiert (Material 6). Diese können entweder den Vorschlägen des Materials entnommen oder selbst zusammen­gestellt werden. Hierbei ist es wichtig, Bilder von Städten zu verwenden und darauf zu achten, dass in den Bilddarstellungen nicht gängige Klischees von Armut, Krankheit, Krieg oder Hunger reproduziert werden. Ziel der Materialauswahl ist ein Bruch mit eben diesen Bildern, um eine komplexere Darstellung Afrikas und Schwarzer Menschen zu ermöglichen. Anhand des Arbeitsblatts (Material 7) erhalten die S*S die Gelegenheit, die neu eingeübte Perspektive im Rahmen einer Schulbuchanalyse zu erproben.

Die vierte Stunde umfasst eine Beschäftigung mit der Benennung von Straßen nach Kolo­nialisten. Den Einstieg bilden ein Textauszug aus Marianne Bechhaus-Gersts Artikel (2019) „Koloniale Spuren im städtischen Raum“ (Material 9) und drei Auszüge aus Jule Bönkosts (2017) Beitrag „Der Ehre würdig? Fragwürdige Namensgeber für Straßen in deutschen Städten und Gemeinden“, die Kurzbiographien zu Adolf Eduard Lüderitz, Dr. Gustav Nachtigal und Dr. Carl Peters enthalten (Material 11-13). Durch die Arbeit mit diesen Materialien stellen die S*S eigenständig Überlegungen dazu an, wie ein Lern- und Erinnerungsort aussehen kann, der sich der kritischen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus annimmt.

 

Materialien:

Material 1:       Schilder – Wie sehr wird erinnert?

Material 2:       Ereigniskarten – Was wird wie erinnert?

Material 3:      Arbeitsblatt – Kritische Schulbuchanalyse

Material 4:      Video – Deutsch-Südwas? Erinnerung an einen deutschen Völkermord

Material 5:       Arbeitsblatt –Deutsch-Südwas?

Material 6:       Impuls – Anregungen für die Bildauswahl zu der Übung „Afrikabilder“

Material 7:       Arbeitsblatt – Bildanalyse zur Übung „Afrikabilder“

Material 8:       Lösungsvorschläge – Erwartungshorizont zur Bildanalyse

Material 9:      Hintergrundinformation – Koloniale Spuren

Material 10:     Arbeitsblatt – Lern- und Erinnerungsorte

Material 11:     Textquelle – Franz Adolf Eduard Lüderitz (1834-1886)

Material 12:     Textquelle – Dr. Gustav Nachtigal (1834-1885

Material 13:     Textquelle – Dr. Carl Peters (1856-1918)

 

Weiterführende Literatur

AfricAvenir. „Wir sind hier. Was unsere Kolonialvergangenheit mit Flucht und Migration zu tun hat“, 2017, http://www.africavenir.org/fileadmin/downloads/Schulmodul/AfA_Schulmat_
modul_RZ_final_web_GESAMT.pdf
, zuletzt geprüft am 27. August 2020.

Arndt, Susan und Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.). Wie Rassismus aus Wörtern spricht: (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk, Münster: Unrast, 2011.

Autor*innenKollektiv Rassismuskritischer Leitfaden. Rassismuskritischer Leitfaden zur Reflexion bestehender und Erstellung neuer didaktischer Lehr- und Lernmaterialien für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit zu Schwarzsein, Afrika und afrikanischer Diaspora, 2015, http://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf

Bechhaus-Gerst, Marianne Bundeszentrale für politische Bildung, 2019. „Koloniale Spuren im städtischen Raum”, https://www.bpb.de/apuz/297604/koloniale-spuren-im-staedtischen-raum?p=2, zuletzt geprüft am 27. August 2020.

Bönkost, Jule. „Kolonialismus und Kolonialrassismus im Schulunterricht: Kritische Zugänge“, in: Dokumentation 2017: Hier und jetzt! Kolonialismus und Kolonialrassismus im Schulunterricht, ARiC Berlin e. V., IDB Institut für diskriminierungsfreie Bildung (Hg.), Berlin, 2017, http://www.aric.de/fileadmin/users/aric/PDF/Hier_und_jetzt_/hierundjetzt_Dokumen
tation_2017.pdf
, zuletzt geprüft am 27. August 2020.

Madubuko, Nkechi. Empowerment als Erziehungsaufgabe: Praktisches Wissen für den Umgang mit Rassismuserfahrungen, Münster: Unrast, 2016.

Marmer, Elina. „Rassismus in deutschen Schulbüchern am Beispiel von Afrikabildern“, in: ZEP Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik 36, 2 (2013), 25–31 https://www.pedocs.de/volltexte/2015/10621/pdf/ZEP_2_2013_Marmer_Rassismus_in_
deutschen_Schulbuechern.pdf
, zuletzt geprüft am 27. August 2020.

Nduka-Agwu, Adibeli und Antje Lann Hornscheidt (Hg.). Rassismus auf gut Deutsch – Ein kritisches Nachschlagewerk zu rassistischen Sprachhandlungen, Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, 2010.

Ogette, Tupoka. exit RACISM: Rassismuskritisch denken lernen. Münster: Unrast, 2017.
 


[1] Vgl. Katharina Walgenbach. „Erinnern, entschädigen, wiedergutmachen – Deutsche Kolonialgeschichte als Gegenstand von Erinnerungspädagogik“, in: Politisches Lernen 1-2, 06 (2006), 52–55, 53.

[2] Vgl. Vgl. Susan Arndt. Die 101 wichtigsten Fragen - Rassismus, Münster: Unrast, 2012.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.