Behindert sein oder behindert werden?
Die Bedeutung der Gesellschaft für Inklusion
Thema
Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung in Regelschulen, aber auch in der Gesellschaft im Allgemeinen, stellt ein Menschenrecht dar. Diese Unterrichtseinheit verfolgt das Ziel, Vielfalt mit dem Fokus auf Beeinträchtigung als „Normalfall“ der Gesellschaft zu zeigen. Die Schüler*innen (S*S) sollen mittels möglichst inklusiver und lebensweltnaher Materialien eigenständig Bilder von Menschen mit Beeinträchtigung im Laufe der Jahrhunderte recherchieren, sich mit verschiedenen Biografien auseinandersetzen und aktuelle mediale Darstellungen kritisch hinterfragen. Neben Bildern von und über Menschen mit Beeinträchtigung werden auch Perspektiven von Menschen mit eingebunden, die von Behinderung betroffen sind.
***Dieses Gesamtmodul steht als PDF-Datei unter einer Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND zur Weitergabe bereit und wurde zuletzt am 28.03.2023 aktualisiert.***
Lehrplanbezug
Behinderung, Umgang mit behinderten Menschen, Behinderung durch Sinnesschädigung, Die Welt anders wahrnehmen, Identität und Rolle, Mensch und Gemeinschaft; Anderssein, Zusammenleben, Diskriminierung, Ausgrenzung und Toleranz; Leben in und mit Vielfalt in historischer Perspektive, Euthanasie; Chancen, Grenzen und Risiken von Medien
Erwartete Kompetenzen
Die S*S können sich in die Situation und Perspektive anderer versetzen (Mehrperspektivität); entwickeln die Kompetenz, in heterogenen Gruppen erfolgreich und selbstständig zu handeln (Sozialkompetenz); verstehen Identität und Lebensgestaltung im Wandel der modernen Gesellschaft: personale Identität und persönliche Lebensgestaltung im Spannungsfeld von Selbstverwirklichung und sozialen Erwartungen; können eigene Positionen entwickeln und begründen; können sprachliche Konstrukte kritisch analysieren; erkennen Diskriminierungsmechanismen und können diese auf andere Formen der Diskriminierung übertragen; entwickeln individuelle Werturteile mit Respekt gegenüber anderen; können moderne Medien (Internet) mit historischen Inhalten untersuchen und beherrschen einen reflexiven und kritischen Umgang mit Medien (Medienkompetenz); Sie reflektieren Wertvorstellungen historischer Akteure, diskutieren Handlungsalternativen im historischen Kontext, entwickeln Verständnis für das zeitlich Andere; ihre Urteils-, Orientierungs-, Handlungs- und Sozialkompetenzen werden gefördert.
Didaktische Perspektive
Zu Beginn dieser Einheit wird der zentrale Begriff der „Inklusion“ erläutert und von anderen für den Diskurs relevanten Begriffen abgegrenzt. „Inklusion“ meint die Einschließung [includere (lat.) = einschließen] und Einbeziehung aller Menschen. Allgemein steht soziale Inklusion für (das Recht auf) Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen Bereichen, wobei Anerkennung, Wertschätzung und Partizipation(-smöglichkeiten) von Bedeutung sind.
Auf den schulischen Kontext übertragen bedeutet dies, dass alle S*S mit und ohne Beeinträchtigung (begriffliche Abgrenzung zu „Behinderung“ – siehe unten) zusammen unterrichtet werden und der Fokus auf jede einzelne Persönlichkeit gelegt wird. Eine individuelle Förderung jedes Kindes, das mit all seinen Facetten wahrgenommen wird, ist ein wesentlicher Bestandteil. Ziel ist die Überwindung des Zwei-Klassen-Systems im Bildungswesen, dem ein eng gefasstes Inklusionsverständnis zugrunde liegt, das keine weiteren Diversitätsmerkmale miteinschließt.
Unterricht ist inklusiv, wenn alle Lernausgangslagen und Lernstile der S*S Berücksichtigung finden und das mit- und voneinander Lernen in der Gruppe durch die Lehrkräfte gefördert wird. Ferner müssen alle Beteiligten sich mit der Vielfalt im Klassenzimmer auseinandersetzen, diese anerkennen und die Teilhabe aller fokussieren. Die Lehrkraft sollte darauf achten, dass einzelne von Beeinträchtigungen bzw. Behinderung betroffene S*S nicht zu Expertinnen und Experten gemacht und vorgeführt werden. Äußerungen hinsichtlich eigener Erfahrungen sollten immer auf Freiwilligkeit beruhen und nicht automatisch auf alle Betroffenen übertragen werden.
Für die Umsetzung von inklusivem Unterricht sind ein angemessener Personalschlüssel, eine ausreichende Finanzierung und Ausstattung mit Sachmitteln, die Bereitschaft aller Mitarbeitenden zur inklusiven Arbeit, Teamarbeit der Lehrkräfte einschließlich guter Kommunikation und die Binnendifferenzierung als Ergänzung zum zieldifferenten Lernen notwendig. Hinzu kommen das Entwickeln einer Lernkultur zur Schaffung von Rahmenbedingungen für ein motiviertes, erfolgreiches Lernen, die Förderung sozialer Kontakte in der Klasse, das Lernen von- und miteinander durch heterogene Lerngruppen, das Beobachten der Lernprozesse der S*S durch das Abwenden von einer bloßen Ergebnisfokussierung, das Ermöglichen individueller Lernwege, die Verwendung verschiedener Aufgabenformate und Differenzierungen bspw. im Rahmen von Operatoren, Multimedialität und Sozialformen sowie ein gemeinsames Festlegen individueller Lernziele und Förderpläne.
Davon ausgehend werden in dieser Einheit verschiedene Sozialformen umgesetzt, die auch die Zusammenstellung heterogener Arbeitsgruppen ermöglichen, wobei die Interessen der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund stehen. Durch selbstständig durchzuführende Recherchen der S*S und die frei wählbaren Präsentationsmethoden können individuelle Stärken und Schwächen berücksichtigt werden. Bei der Auswahl der erklärenden Videos wurde auf eine sinnvolle Untertitelung Wert gelegt, die hörbeeinträchtigten S*S entgegenkommt. Bei Youtube-Videos, die über keine Untertitel verfügen, können diese ggf. zusätzlich eingestellt werden. Zudem sind insbesondere die ersten beiden Videos leicht verständlich.
Die zwei Varianten der dritten und vierten Stunde fördern den binnendifferenzierten Unterricht. Version A ist leichter zugänglich und orientiert sich stark an der Lebenswelt der S*S, während Version B einen höherschwelligeren Zugang ermöglicht und Medienkritik fokussiert. Die Lehrkraft kann hier entscheiden, welche Variante für ihre Lerngruppe geeigneter erscheint. Da sich beide Versionen ähneln, ist mit kleineren Abänderungen auch eine Kombination beider möglich.
Ein Lernziel dieser Unterrichtseinheit ist die Sensibilisierung für die Thematik Inklusion und Beeinträchtigung/Behinderung. Es soll ein möglichst realitätsnahes, buntes, vielseitiges und nicht auf Leid reduziertes Bild gezeigt werden, wie es in vielen Schulbüchern und anderen Medienformaten vorkommt. Daher werden zumeist (aber nicht ausschließlich) positive Beispiele angeführt. Dieser Aspekt ist für alle S*S sinnvoll, um den bisherigen, häufig negativ konnotierten Darstellungen entgegenzuwirken. Darüber hinaus mangelt es betroffenen S*S oft an positiven Beispielen und Identifikationsmöglichkeiten. Beeinträchtigung ist ein Teil von Vielfalt und analog zur Migration ein „Normalfall“ gesellschaftlicher Diversität.
Hinweis: Die gewählte Stundenstruktur muss nicht zwangsläufig eingehalten werden. Es kann förderlich sein, den S*S mehr Zeit und Freiraum zu geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Diese Einheit kann fächerverbindend unterrichtet werden und weist eine Anschlussfähigkeit zu den Fächern Geschichte, Sozialkunde und Ethik/Religion auf.
Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.