Facetten der Migration
Fünf Menschen. Fünf Geschichten.
Sachinformation
Worum geht es?
Dass die Geschichte Deutschlands eine Migrationsgeschichte ist, bestreitet in der fachhistorischen Forschung kaum jemand mehr. Insbesondere die Migration von Hugenotten nach Preußen ab dem 17. Jahrhundert oder die Migrationsbewegungen von displaced persons und der Themenkomplex „Flucht und Vertreibung“ nach 1945 sind gut erforscht. Nimmt man Migrationen nach 1955 in den Blick, so lassen sich für die Bundesrepublik im Wesentlichen drei Phasen von Migration festmachen:
In einer ersten Phase ab Mitte der 1950er Jahre warb Deutschland Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, schließlich aus Marokko, Portugal, Spanien und Jugoslawien an, um dem Arbeitskräftemangel der stetig wachsenden westdeutschen Wirtschaft zu begegnen. Die hier Angeworbenen sind diejenigen, für die sich im Sprachgebrauch der Terminus „Gastarbeiter*innen“ durchgesetzt hatte. Ihr Aufenthalt sollte ursprünglich von begrenzter Dauer sein und sie wurden in erster Linie in solchen Bereichen eingesetzt, die für deutsche Arbeitskräfte zunehmend unattraktiv wurden. Ihre Unterbringung erfolgte zumeist in eigenen Wohnheimen. Für die auf diese Weise Angeworbenen war ein Aufenthalt in der Bundesrepublik dennoch nicht unattraktiv und mit vielen Hoffnungen verbunden, was unter anderem auf die oftmals hohen Arbeitslosenquoten in ihren Herkunftsländern oder auf problematische politische Verhältnisse in ihrer Heimat (v.a. in Spanien, Portugal und Griechenland) zurückzuführen war. In der DDR erfolgte die Anwerbung von sogenannten Vertragsarbeiter*innen, etwa aus Polen, später aus Ungarn, Algerien, Kuba, Vietnam, Angola und Nordkorea.
Ab den 1970er Jahren stagnierte die deutsche Wirtschaft und als Folge wurde 1973 ein Anwerbestopp für ausländische Arbeiternehmer*innen verhängt. Da jedoch zahlreiche „Gastarbeiter*innen“ in der Zwischenzeit eine unbefristete Arbeitserlaubnis in Deutschland erworben hatten und ihre Familien in die Bundesrepublik nachzogen, stieg die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in den 70er Jahren in Deutschland stark an. Parallel dazu ließen sich Migrationsbewegungen aus politischen Gründen beobachten, die etwa durch Fluchten aus Vietnam in Folge der dortigen Kriegsereignisse („boat people“) ausgelöst wurden.
Nach 1989/90 wurden schließlich auch die Möglichkeiten von politisch motivierter Migration stark begrenzt. Von populistischen Debatten begleitet, schränkte das wiedervereinigte Deutschland zum Beispiel im Jahr 1993 das Asylrecht stark ein. Der Zuzug von sogenannten Aussiedler*innen wurde auf 200.000 Personen pro Jahr begrenzt. Diese Maßnahmen führten unter anderem zu einem Anstieg der ‚illegal’ in Deutschland lebenden Menschen.
In diesem Unterrichtsmodul sollen die unterschiedlichen Facetten der hier skizzierten deutschen Migrationsgeschichte erarbeitet und exemplarisch beleuchtet werden.
Welche Materialien werden verwendet?
Um der Komplexität und der Vielfalt der Aspekte von Migration Rechnung zu tragen, werden in diesem Modul fünf Audiogeschichten von Einwander*innen aus dem migration-audio-archiv verwendet (Material 3-8) und mit Hilfe von Arbeitsblättern (Material 1-2) bearbeitet:
1. Ali CAN (‚klassische’ Arbeitsmigration aus der Türkei, Migration nach Deutschland in den 1960er Jahren, Remigration 2006)
Hördatei 14 min. bzw. 54 min., Skript Suvak/Herrmann 2008: 90-97
2. Arifien MUSNADI (politisch aktiver Student aus Indonesien, kommt als Student Anfang der 1950er Jahre nach Deutschland, arbeitete als Journalist, Regimekritiker und Bibliothekar)
Hördatei 19 min., Skript Suvak/Herrmann 2008: 16-21
3. Rangin Dadfar SPANTA (politischer Geflüchteter aus Afghanistan, arbeitet als Akademiker und Lokalpolitiker in Deutschland, kehrt nach dem Sturz der Taliban nach Afghanistan zurück, war dort 2006 bis 2010 Außenminister)
Hördatei 32 min., Skript Suvak/Herrmann 2008: 214-219
4. Noemi RAZ (jüdische Remigration der Eltern, migriert mit ihren Eltern sehr widerwillig nach Deutschland; trotz mehrfacher Pläne wieder zurück nach Israel zu gehen, bleibt sie in Deutschland und gründet eine Familie)
Hördatei 34 min., Skript Suvak/Herrmann 2008: 42-53
5. Derya JALAL (Verfolgung der kurdischen Familie durch radikale Muslime in Irak, bemerkenswerte Fluchtgeschichte per LKW durch die Türkei nach Deutschland; lange Zeit des Wartens auf eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland)
Hördatei 39 min., Skript Suvak/Herrmann 2008: 340-347
Materialien
Material 1: Arbeitsblatt – Biografische Skizzen
Material 2: Arbeitsblatt – Die Geschichte von …
Material 3: Interview – Ali Can
Material 4: Interview – Arifin Musnadi
Material 5: Interview – Rangin Dadfar Spanta
Material 6: Interview – Noemi Raz
Material 7: Interview – Derya Jalal
Material 8: Interview – Derya Jalal: „… wir hatten keine Wahl“
Weiterführende Literatur
Suvak, Sefa Inci, Herrmann, Justus (Hg.). ”In Deutschland angekommen…”: Einwanderer erzählen ihre Geschichte; 1955 – heute, München: Wissen Media Verlag, 2008.
Herbert, Ulrich. Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München: C.H. BeckVerlag, 2001.
Grundlagendossier Migration der Bundeszentrale für politische Bildung, hier insbesondere: Oltmer, Jochen.: ”Deutsche Migrationsgeschichte seit 1871”,
Butterwegge, Carolin. ”Migration in Ost- und Westdeutschland 1955 bis 2004”, https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration-ALT/56334/migration-in-deutschland, zuletzt geprüft am 13.08.2021.
Bundeszenrale für politische Bildung (Hg.). Praktische Geschichtsvermittlung in der Migrationsgesellschaft. 46 Bausteine für die schulische und außerschulische historisch-politische Bildung, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2013.
Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.