Schuld und Verantwortung

Reflexionsmodul zu geschichtskulturellen Debatten zum Thema Holocaust in der postmigrantischen Gesellschaft

Von: Oliver Glatz, Uriel Kashi

Ablaufplan

  1. Stunde 1: Verschiedene Perspektiven auf Schuld und Verantwortung

    1. Lernziele

      • Die Schüler*innen (S*S) reflektieren die Begriffe Schuld und Verantwortung in Bezug auf die Geschichte der NS-Verbrechen und des Holocaust. Dabei unterscheiden sie zwischen persönlicher und/oder kollektiver Schuld und Verantwortung.
      • Die S*S werden für unterschiedliche Perspektiven auf Schuld und Verantwortung sensibilisiert.
      • Die S*S können die Kategorien Schuld und Verantwortung voneinander abgrenzen.
    2. Vorbereitung

      • Die Möglichkeit zum Projizieren eines Videos steht zur Verfügung.
      • Die Lehrkraft hält einen Ausdruck des Transkripts von dem Video (Material 2) für sich bereit. Die Lehrkraft bereitet die Zitate (Material 3) vor, indem sie sie entweder an die Tafel schreibt oder eine Projektion des Materials vorbereitet.
    3. 1 . Einstieg

      Dauer 10 min
      • Die Lehrkraft stellt das Thema der Unter­richts­einheit vor. Zur Einführung sehen sich die S*S den Film „Schuld oder Ver­ant­wortung – Wie gehen wir heute mit dem Holocaust um?” an.
      • Hinweis:
        Für die weitere Bearbeitung steht der Lehrkraft ein Transkript des Videos zur Verfügung (Material 2).
      • Die Lehrkraft stoppt den Film bei Minute 1:42.
      • Sie erläutert, dass im ersten Teil des Videos Reporterin Eva Schulz mit Berliner S*S Fragen zu „Schuld und Verantwortung” diskutiert. Die Lehrkraft klärt mit den S*S Verständnisfragen.
      • Sie erläutert, dass im ersten Teil des Videos Reporterin Eva Schulz mit Berliner S*S Fragen zu „Schuld und Verantwortung” diskutiert. Die Lehrkraft klärt mit den S*S Verständnisfragen.
      • Es folgt ein Unterrichtsgespräch.
      • Impulse:
        • Wie unterscheiden die S*S in dem Video zwischen den beiden Begriffen „Schuld” und „Verantwortung”?
        • Sollte sich die Generation der S*S schuldig fühlen für das, was vor drei Generationen geschah?
        • Trägt die Generation der S*S Verant­wortung für das, was damals geschah, und falls ja, welche?
      • Die Lehrkraft sammelt die Meinungen und hält sie an der Tafel oder am Whiteboard fest.
      • Erwartungshorizont
        Die Begriffe „Schuld” versus „Verantwor­tung” werden oft miteinander verwechselt. Im Gespräch sollen die S*S den Unter­schied der beiden Begriffe heraus­arbei­ten.
        Bei der Entwicklung eigener Positionen zum Thema Schuld und Verantwortung wird den S*S deutlich, dass sich manche Positionen mit jenen der Berliner S*S im Film überschneiden, es jedoch zahlreiche weitere Positionen und Einstellungen geben kann.
    4. 2 . Erweiterung der Perspektive I

      Dauer 10 min
      • S*S schauen den Film weiter bis Minute 3:18.
      • Es folgt wieder ein Unterrichtsgespräch.
      • Impulse:
        • Hat euch bei den Interviews mit den beiden Israelis etwas überrascht?
        • Welche Erfahrungen machen die beiden Israelis in Deutschland und wie lassen sich diese erklären?
      • Hinweis:
        Während der Moderation sollte die Lehr­kraft den Ein­druck vermeiden, dass Dekel und Nurit stellvertretend für ALLE Israelis/ Jüd*innen sprechen. Stattdessen geben sie hier ihre persönliche Meinung wieder.
        Im Rahmen des Unterrichtsgesprächs sollten die S*S die drei Aussagen Dekels diskutieren:
        1) dass für ihn der Holocaust „überall” sei,
        2) dass er als Israeli auf Partys oft auf das Thema Holocaust angesprochen wird,
        3)
        dass er sich nicht immer „besonders” fühlen möchte.
      • Erwartungshorizont:
        Den S*S wird deutlich, dass die beiden Protagonist*innen Dekel und Nurit eine andere Perspektive auf das Thema Holo­caust haben als die Berliner S*S zu­vor. Der Perspektivwechsel soll den S*S deut­lich machen, dass man die Geschich­te aus unterschiedlichen Blickwinkeln be­trach­ten kann und sie damit auch eine andere Bedeutung erhält.
    5. 3 . Erweiterung der Perspektive II

      Dauer 10 min
      • S*S schauen den Film zu Ende.
      • Es folgt ein weiteres Unterrichtsgespräch. Die Lehrkraft hält die wichtigsten Argu­mente an der Tafel oder dem Whiteboard fest
      • Impulse:
        • Welche Unterschiede und Gemeinsam­keiten habt ihr bei den Aussagen von Omar, Tahir und Khaled gegenüber den Aussagen im ersten Teil des Filmes feststellen können?
        • Wie empfandet ihr die Anmerkung von Khaled, es hätte auch „uns“ passieren können, nicht nur den Juden, da es auch einen Ausländerhass gab.?
      • Erwartungshorizont:
        Zusätzlich zur Perspektive der Berliner Jugendlichen und der beiden Israelis lernen die S*S weitere postmigrantische Perspektiven kennen. Neben einer klaren Absage an das Vergessen mischt sich in diese die Angst vor ausgrenzendem Ge­dan­kengut.
      • Hinweis:
        Auch hier ist wieder wichtig, dass die Lehr­kraft den Eindruck vermei­det, dass die Jugendlichen aus Neukölln stellvertre­tend für ALLE Jugendlichen mit Migra­tionsbezug sprechen, sondern vor allem ihre persönliche Meinung wieder­geben.
    6. 4 . Vertiefung

      Dauer 15 min
      • Die Lehrkraft schreibt die Zitate Material 3 (OHNE DIE KATEGORIEN ALS ÜBER­SCHRIFTEN) an die Tafel oder projiziert sie nachein­an­der für alle sichtbar an ein Whiteboard und bittet die S*S, sich diese durchzu­lesen.
      • Im Anschluss diskutieren die S*S die Zitate.
      • Impulse:
        • Haben die Begriffe „Schuld” und „Verantwortung” in allen Zitaten die gleiche Bedeutung?
        • Worin unterscheiden sich die Positionen?
        • Welche Aussagen weisen gemeinsame Positionen auf?
      • Erwartungshorizont:
        Die S*S lernen, dass die Begriffe Schuld und Verantwortung nicht immer eindeutig verwendet werden, sich die Bedeutung jedoch aus dem Zusammenhang erschließt.
        Die S*S lernen, verschiedene Positionen zur Frage der Schuld und Verantwortung voneinander zu unterscheiden
        .
      • Wenn die Lehrkraft das Gefühl hat, dass die S*S ausreichend diskutiert haben, erklärt sie, dass eine Möglichkeit, diese Positionen zu ordnen, darin besteht, sie entsprechend der jeweiligen Positionierung zur Frage von Schuld und Verantwortung zu organisieren.
      • Sie erklärt weiter, dass sich daraus konkret folgende Kategorien ergeben, die sie nacheinander an die Tafel oder das Whiteboard schreibt:
        1. Wegen Handlungen meiner Vorfahren trage ich besondere Verantwortung aus der Geschichte heraus
        2. Als Deutsche*r trage ich eine besondere Verantwortung aus der Geschichte heraus
        3. Als Mensch trage ich Verantwortung, allerdings keine besondere Verantwortung als Deutsche*r
        4. Ich trage keine besondere Verantwortung aus der Geschichte
  2. Stunde 2: Was bedeutet Schuld und Verantwortung für mich?

    1. Lernziele

      • Der Zugang zu Geschichte ist subjektiv und manchmal biografisch geprägt. Die S*S nehmen wahr, dass Menschen unterschiedliche Zugänge zur Geschichte haben und aus der Geschichte für unterschiedliche Menschen verschiedene Konsequenzen erwachsen.
      • Die S*S entwickeln eine eigene Position zur Frage nach Schuld und Verantwortung für die Verbrechen, die im Nationalsozialismus begangen wurden.
    2. Vorbereitung

      • Die Lehrkraft bereitet Material 4 vor, indem sie die Zitate vervielfältigt und ausschnei­det oder auf Karteikarten überträgt.
      • Die Lehrkraft stellt sicher, dass den S*S die am Ende der letzten Stunde entwickelten Kategorien für die Gruppenarbeit vorliegen (entweder schreibt sie sie wieder an die Tafel/das Whiteboard oder überträgt sie auf Zettel, die sie den Kleingruppen zur Verfügung stellt.
    3. 5 . Arbeitsphase

      Dauer 25 min
      • Die Lehrkraft teilt die S*S in Kleingruppen mit jeweils ca. sechs S*S auf. Jede Kleingruppe erhält etwa zehn ausgeschnittene Zitate (aus Material 4) aus allen vier Kategorien. Die Kategorien stehen an der Tafel/dem Whiteboard oder liegen den S*S vor. Die S*S wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, zu welchen Kategorien ihre jeweiligen Karteikarten gehören. Je nach Gruppengröße können einzelne Karten auch doppelt an verschiedene Kleingruppen vergeben werden.
      • Die Lehrkraft bittet die S*S darum, die Karten  den verschiedenen Kategorien zuzordnen.
      • Anschließend fordert sie die S*S dazu auf, in den Kleingruppen zu diskutieren, ob es Positionen gibt, die bei ihnen Zustimmung, Ablehnung oder eine Emotion auslösen, und falls ja, welche.
      • Ggf. können die Gruppen auch eine eigene Position formulieren und diese einer der Kategorien zuordnen. Wenn sie sich nicht auf eine Position einigen können, dann formulieren sie mehrere.
      • Erwartungshorizont:
        Während der Einordnung der Stand­punkte setzen sich die S*S mit den verschiedenen Positionen auseinander und entwickeln eine eigene Position zur Frage von Verantwortung.
    4. 6 . Ergebnispräsentation und -sicherung

      Dauer 20 min
      • Die S*S setzen sich wieder an ihre Plätze. Die Lehrkraft bittet jeweils eine*n Schüler*in aus jeder Kleingruppe ihre Ergebnisse zu präsentieren.
      • Wenn alle Kleingruppen ihre Ergebnisse vorgestellt haben, leitet die Lehrkraft eine Metadiskussion zu der Aufgabenstellung an.
      • Impulse:
        • War es schwierig, die Karten den jeweiligen Überschriften zuzuordnen, und falls ja, in welchem Fall?
        • Gab es Positionen auf den Karten, die in eurer Kleingruppe Zustimmung, Ableh­nung oder eine Emotion auslösten, und falls ja, welche? Wie verlief die Diskus­sion zu dieser Karte?
        • Konntet ihr eine eigene Position zur Frage der Verantwortung entwickeln? Wie begründet ihr diese?
      • Hinweis:
        Die Lehrkraft sollte es vermeiden, die Positionen der S*S zu bewerten.
      • Erwartungshorizont:
        Die S*S lernen zusätzliche, sich zum Teil widersprechenden Positionen zur Frage der Verantwortung kennen. Sie reflektie­ren ihre Beziehung zur eigenen Familien­geschichte und zu ihrer Identität als in Deutschland lebende Bürger*innen. Sie diskutieren, inwiefern aus diesen eine Verantwortung erwächst oder nicht.
  3. Stunde 3: Meine, deine, unsere Geschichte (optional)

    1. Lernziele

      • Die S*S erkennen, dass die Entwicklung von Empathie mit den Opfern der Verbrechen nicht nur durch eine gemeinsame Staatsangehörigkeit oder einem Zugehörigkeits­gefühl entstehen kann.
      • Den S*S wird verdeutlicht, warum die Annahme, Menschen mit Migrationsbezug könnten sich nicht mit der Geschichte, die sich u. a. auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands ereignet hat, identifizieren und sich dafür interessieren, falsch und beleidigend sein kann.
    2. Vorbereitung

      • Die Lehrkraft fertigt ausreichende Kopien von Material 5 an.
    3. 7 . Einstieg

      Dauer 7 min
      • Die Lehrkraft fasst gemeinsam mit den S*S zusammen, welche Aspekte sie in den vorangegangenen beiden Stunden gelernt haben.
      • Sie hält die Ergebnisse in Stichpunkten an der Tafel oder dem Whiteboard fest.
      • Wenn in dem Gespräch der Aspekt, ob Migrantisierte sich mit der „deutschen“ Geschichte identifizieren oder nicht, kommt, dann versucht die Lehrkraft die Diskussion etwas zu vertiefen und leitet zum Thema dieser Stunde über.
    4. 8 . Arbeitsphase

      Dauer 20 min
      • Die S*S bilden Kleingruppen von 4-5 Personen.
      • Die Lehrkraft teilt Arbeitsblatt (Material 5) aus und bittet die S*S, es zu bearbeiten.
    5. 9 . Ergebnissicherung

      Dauer 18 min
      • In einem gemeinsamen Unterrichts­gespräch gehen die S*S nacheinander die Fragen durch und diskutieren die jeweiligen Antworten.
      • Die Lehrkraft moderiert und versucht, auch Anmerkungen von Schüler*innen, die sich gewöhnlich nicht lautstark an Diskus­sionen beteiligen, Raum zur Äußerung ihrer Meinung zu geben. Die Diskussion sollte zu jedem Zeitpunkt respektvoll bleiben und die Lehrkraft achtet darauf, dass kein*e Schüler*in sich durch die Argumentation von anderen verletzt fühlt.
      • Hinweis:
        Die ersten beiden Fragen zielen darauf ab, dass die S*S die Positionen Augsteins und Foroutans voneinander unterschei­den. Augstein leitet das Bedürfnis nach einer Erinnerung an den Holocaust und die Entwicklung einer Empathie für die Opfer aus der Familiengeschichte ab. Durch das Zitat von Joachim Gauck suggeriert er damit jedoch gleichzeitig, dass Deutsche mit Migrationshintergrund nie eine echte „deutsche Identität” ent­wickeln könnten.
      • Erwartungshorizont:Durch die Analyse des Briefwechsels erkennen die S*S, dass ein unreflektiert geführter Diskurs zu „Schuld und Verantwortung” ausgrenzend auf Deutsche „mit Migrationshintergrund“ wirken kann.

Sie können auch die gesamte Materialsammlung zusammen mit dem kompletten Text dieser Unterrichtseinheit herunterladen.